Inside | Mentale Stärke - In Melvin Nyffelers Tunnel ist es ganz still

11.10.2021, 08:30

Melvin Nyffeler bringt stets Leistung, wenn es darauf ankommt. Wie macht er das? Was hat ihn zu einem der wichtigsten Gesichter der Lakers-Erfolgsgeschichte gemacht? Inside sprach mit «Nyffy» über Selbstvertrauen, Saumoden, Angst und den stillen Tunnel, in den er sich an den Match-Tagen begibt.

Ziele setzen
Du musst wissen, wo dein Weg hingeht. Damit du langfristige Ziele erreichen kannst, brauchst du viele kleine Ziele. Ich habe meine persönlichen Ziele, und es gibt die des Teams. Diese Ziele sind immer in meinem Kopf.

Für jedes Training setze ich mir kleine Ziele, an denen ich arbeiten will.
Heute war es das Tracking des Pucks. Du musst die Scheibe immer anschauen, bis sie dich trifft. So kannst du sie besser fangen, und es gibt weniger Rebounds. Wenn es trotzdem einen gibt, sehe ich, wo die Scheibe hingeht. Ich habe auch Ziele für die ganze Saison. Ich will den Lakers Rückhalt geben, damit wir die Playoffs erreichen. Ich will an die Olympischen Spiele und an die WM.

Veränderungen angehen
Ich bin ein extremer Gewohnheitsmensch. Ich weiss aber, dass man für Veränderungen offen sein muss und nicht voreingenommen sein darf. Jeff Tomlinson war die wichtigste Person in meiner Karriere, er war wie ein Vater. Dass er nicht mehr da ist, ist schwierig zu akzeptieren. Es ist jetzt wichtig, dass ich nicht vergleiche und allen eine Chance gebe. Veränderungen können ja auch Gutes bewirken.

Die Goalie-Position verändert sich Jahr für Jahr technisch wie taktisch. Letzte Saison war ich verletzt – das war neu für mich. Ich nahm eine Veränderung vor: Seit da arbeite ich mit einem Mentaltrainer. Dies war der Schlüssel zu meinem Comeback, zu den Playoffs und zur WM.

Auf den Punkt die Leistung bringen
Diese Fähigkeit hat wohl auch mit Genetik zu tun. Ich denke, sie ist zu 100 Prozent mental. Ich war immer sehr überzeugt von mir. Ich verlasse mich auf das, was ich kann.

Wenn der Puck eingeworfen ist, heisst es: Kopf ausschalten und mein Spiel spielen.

Ich habe zwei Persönlichkeiten. Die eine neben dem Eis, die ist sehr kommunikativ und offen. Auf dem Eis bin ich in mir, werde ruhig und fokussiert. Ich transferiere mich jeden Tag vom einen ins andere. Ich will meinen Mitspielern zeigen: Hey, heute kann kommen, was will – der Nyffy wird sie alle halten.

Körper und Geist überlisten
Diesem Zustand sagen wir «emotional numb» (wörtlich: emotional taub). Der Prozess dorthin ist lang. Er fängt schon am Tag zuvor an, er geht weiter, wenn ich in die Halle komme. Ich begebe mich in einen Tunnel und spreche mit niemandem mehr. Die anderen wissen, dass sie mich in Ruhe lassen müssen. Wenn ich im Tunnel bin, kann kommen, was will.

Rituale
Ich habe eher Abläufe als Rituale. Diese Warm-up-Abläufe sind so gestaltet, dass ich sie immer machen kann. Mal ist der Bus zu spät, mal klappt sonst etwas nicht, und dann kommst du ins Hadern, weil du deine Rituale nicht machen kannst. Ich will auch keine Rituale mit anderen Spielern. Wenn einer verletzt ist, kommst du ins Hadern.

Mein einziges wirkliches Ritual das Trinken in den Unterbrüchen.

Ich kann mich damit gut resetten. Eigentlich ist es eine Saumode, weil ich das meiste wieder ausspucke. Meine Mutter sagt, es sei mein Markenzeichen, die Fans sagen, das ist eben der Nyffy.

Optimismus
Ich bin vom Wesen her optimistisch. Aber in mir gibt es auch viele negative Gedanken wie Unsicherheit oder Zweifel. Die kamen vor allem nach meiner Verletzung. Ich machte mir Sorgen, dass ich nicht mehr zurückkommen und dem Team beim Kampf um die Playoffs helfen könnte. Es war mehr ein mentales als ein körperliches Problem. Trotzdem: Ich sehe das Positive, die guten Dinge, die ich hier bei den Lakers habe. Und ich rede viel und gerne, das zeichnet mich aus als Menschen.

Mit Ängsten auseinandersetzten
Die Zweifel und Ängste gehen Hand in Hand. Bei uns Eishockey-Spielern gibt es auch Existenzängste: Wenn ich keine Leistung bringe, muss ich mit der Familie umziehen und verdiene nichts mehr. Deshalb arbeite ich sehr hart und fokussiert, damit rücken Zweifel und Ängste in den Hintergrund.

Bilder und Gefühle aktivieren
Ich geniesse es, Hockey zu spielen. Ich freue mich, in die Halle zu kommen. Es ist meine Passion und Wohlfühloase. Als es mal nicht so gut lief, schaute ich die Videos vom Cup-Sieg und vom Aufstieg an.  Ich holte damit gute und starke Emotionen hoch. Diese Emotionen geben mir Kraft und aktivieren mich. Aber ich mache das nicht jeden Tag, ich gehe mehr die einfachen Sachen durch. Ich sehe mich sehr oft vor meinem inneren Auge verschieben und fangen.

Regeneration
Ich fokussiere mich sehr auf den Schlaf, weil ich in diesem Zustand am besten regeneriere. Vor einem Jahr bin ich Vater geworden, jetzt ist es etwas anspruchsvoller geworden. Wir mussten schon vor der Geburt darüber diskutieren, wie wir das handhaben sollen.

Unsere Familie ist wie eine Firma, wir finanzieren unser Leben mit Hockey.

Die ganze Familie soll alles daran setzten, dass ich lange spielen kann – vielleicht bis 40. Mein Körper ist mein Kapital, und meine Frau hat grosses Verständnis. Ich kann zu Hause im Helfermodus sein, ich muss nichts organisieren. Am Match-Tag geht sie mir aus dem Weg, spielt draussen mit dem Kleinen. Die Nacht vor den Spielen schlafe ich im Gästezimmer. Meine Frau weiss, dass ich vor dem Match viele Kohlehydrate brauche. Sie ist in einer Hockeyfamilie aufgewachsen und kennt das von klein auf.

Schlafen
Letztes Jahr in der Nationalmannschaft hielt eine Spezialistin einen Vortrag. Wenn du das Handy vor der Birne hast, kannst du es nicht einfach weglegen und schlafen. Das Hirn braucht Zeit, um herunterzukommen – auch wegen den Blaufrequenzen des Bildschirms. Deshalb schalten wir 30 Minuten vor dem Schlafen die Handys und den TV aus.

Manchmal halten mich Sachen, die mich stark beschäftigen, vom Schlafen ab.

Ich schreibe auf, wie und wann ich diese Sachen lösen kann. So kann ich sie loslassen und besser einschlafen. Ich meditiere auch viel. Oft mache ich vor dem Schlafen oder vor einem Nachmittags-Nap eine Meditation. Das Wichtigste ist aber: Steh auf und mach etwas, wenn du nicht schlafen kannst. Sonst kommst du in einen Teufelskreis. Lieber als wach im Bett zu liegen putze die Wohnung oder mache etwas, was ich schon lange machen wollte. Zum Beispiel ein Buch lesen.

Motive und Sinnhaftigkeit
Hockey ist mein Schicksal und macht mir sehr viel Spass. Für mich steht eine spezielle Geschichte dahinter: Als ich elf war, wollten sie mich in Kloten zu den Mini B abschieben. Sie sagten, ich sei zu klein, und es reiche nicht zu einem guten Hockeyspieler. Das war für mich ein grosser Ansporn. Beim ZSC hiess es dann: Uns ist das egal! Wir wollen dich entwickeln. Der Goalie-Trainer, der mich damals gefördert hast, ist jetzt bei uns.

Je grösser ich wurde, desto mehr wollte ich beweisen, dass ich ein guter Goalie bin.

Es gibt da eine sinnbildliche Situation: Am siebten Spiel um den Aufstieg in Kloten stand der ehemalige Klotener Nachwuchschef, der mich damals abgeschoben hatte, hinter meinem Tor. Vor der Verlängerung hatten wir Blickkontakt – und er nickte mir zu. Sein Ausdruck zeigte Anerkennung. Er schien zu denken: «Ich bin damals falsch gelegen, du hast es allen gezeigt, du hast es gut gemacht.» Das war eine grosse Genugtuung. Ich glaube an Karma. Darum will ich alle so behandeln, wie ich behandelt werden will. Alles was du machst, kommt zurück.

Vorbereitung, Arbeit

Einer meiner Trainer bei GCK sagte: «Wenn du immer das machst, was du musst, musst du nicht hoffen, dass es klappt.» Oder: Was du im Dunkeln machst, ist im Licht zu sehen. Ich lebte lange von meinem Talent, dann lief ich in eine Wand und hatte keinen Vertrag mehr. Damals musste ich mir Gedanken machen zu meiner Arbeits-Ethik.

Ich erkannte, dass ich für den Erfolg sehr viel härter arbeiten muss.

Seither gab es keinen Tag mehr mit Eistraining oder Match, an dem ich es schleifen liess. All dies hat mich innert vier Jahren vom Arbeitslosen zum Nati-Goalie gemacht. Ich will nie mehr am Boden liegen wie damals.


Martin Mühlegg

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  • Publiziert am
    11.10.2021 08:30
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